Traumatische Erfahrungen können tiefgreifende Auswirkungen auf unser Nervensystem haben. Sie beeinflussen nicht nur unsere emotionalen und psychologischen Zustände, sondern auch unsere körperlichen Reaktionen und Verhaltensmuster. In diesem Beitrag möchte ich beleuchten, wie Trauma unser Nervensystem beeinflusst und welche Impulse zur Selbstregulation helfen können, um Heilung und Veränderung zu fördern.
Das Nervensystem und Trauma
Wenn wir als Kind neugierig und experimentierfreudig sein konnten, fällt es uns höchstwahrscheinlich heute leicht, Entscheidungen zu treffen und neue Wege einzuschlagen. Wir haben gelernt, dass unsere Bezugspersonen präsent und liebevoll das Autonomie – Bedürfnis befürworteten und uns sicher begleiteten.
Ist das nicht der Fall gewesen, weil unsere Eltern ebenfalls unsicher, ambivalent oder anders Bindungs- und Beziehungsorientiert traumatisiert waren, dann hat unser Körper womöglich Formen der Vernachlässigung, Ignoranz oder Bestrafung erfahren. Das implizite Körpergedächtnis, der nicht zugängliche und erinnerbare Teil des Gedächtnisses wirkt sich auf das Erleben und unser Verhalten aus.
Entscheidungen zu fällen könnte eine große Herausforderung sein, weil unser Nervensystem die vertrauten, impliziten Erinnerungen körperlich wieder aufleben lässt.
Eine kurze allgemeine Zusammenfassung zum Nervensystem:
Das Nervensystem ist in zwei Hauptteile unterteilt: das zentrale Nervensystem (ZNS) mit dem Gehirn und dem Rückenmark, sowie das periphere Nervensystem (PNS). Das PNS wiederum besteht grob eingeteilt aus dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem. Bei traumatischen Erlebnissen kann das sympathische Nervensystem überaktiv werden, was zu einer ständigen Alarmbereitschaft führt. Dies äußert sich in Symptomen wie Angst, Hypervigilanz, eine erhöhte Wachsamkeit, und einer erhöhten Stressreaktion.
Im Gegensatz dazu ist das parasympathische Nervensystem für Entspannung und Regeneration zuständig. Bei Menschen, die Trauma erlebt haben, kann es jedoch schwierig sein, in diesen Zustand zurückzukehren. Die ständige, teils dauernde Aktivierung des sympathischen Nervensystems kann zu einem Gefühl der Überwältigung und der Unfähigkeit führen, sich zu entspannen oder zu regenerieren. Das Stresstoleranzfenster nach Dr. Dan Siegel ist ein Modell, das eine Über- oder Untererregung des Parasympathikus erklärt, wenn wir gefühlt aus dem sog. „Window of Tolerance“ fallen. Dies geschieht über unser Erleben im Überlebenskampf durch Kampf- Flucht- (Übererregung) oder Erstarrung (Untererregung). Der Bereich dazwischen ist anzustreben, um uns emotional stabil, flexibel und funktionell ausgeglichen zu fühlen. Ein breites Stresstoleranzfenster beschreibt daher eine Widerstandsfähigkeit gegenüber Stress (Resilienz) und sorgt für ein gesundes Leben- außerhalb des Überlebens.
Impulse zur Selbstregulation
Um die Auswirkungen von Trauma auf das Nervensystem zu mildern, ist es sehr wichtig, Selbstregulationsstrategien zu entwickeln, die die Selbstwirksamkeit und ein körperliches Wohlgefühl der Sicherheit erhöhen. Ich möchte hier einige Impulse nennen, bleib neugierig und finde die passende Technik für dich:
- Achtsamkeit und Meditation: Achtsamkeitspraktiken helfen, den Geist zu beruhigen und die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment zu lenken. Besonders zu nennen ist die „Orientierung im Raum“: Hierfür schaue dich ganz langsam und bewusst um. Was siehst du vor dir, neben dir, über dir, unter dir… benenne die Gegenstände, als würdest du sie zum ersten Mal sehen und nimm deinen Kopf bei den Bewegungen mit. So erfährt dein Körper, dass du die Umgebung wirklich auskundschaftest und keine Gefahr besteht. Meditation kann nebenbei dazu beitragen, die Aktivität des sympathischen Nervensystems zu reduzieren und das parasympathische Nervensystem zu aktivieren. Hierfür kannst du aufrecht sitzen oder auch liegen, die Augen entspannt auf einem Fixpunkt ruhen lassen oder auch schließen, deinem Atem folgen und der Stille Raum für Gestaltung geben. Musik zur Entspannung kann hilfreich sein- muss es aber nicht. Probiere dich gerne aus!
- Körperliche Bewegung: Körperliche Aktivitäten wie Yoga, Tai Chi, das Neurogene Zittern, kreisende Bewegungen der Gelenke oder einfaches Spazierengehen können helfen, Spannungen abzubauen und das Nervensystem zu regulieren. Bewegung fördert die Durchblutung und setzt Endorphine frei, die das Wohlbefinden steigern.
- Atmungstechniken: Bewusste Atemübungen, wie die 4-7-8 Technik (4 Sek. Einatmen- 7 Sek, den Atem halten- 8 Sek. Ausatmen) oder die Bauchatmung, können helfen, das Nervensystem zu beruhigen. Durch langsames und tiefes Atmen wird das parasympathische Nervensystem aktiviert, was zu Entspannung führt.
- Soziale Unterstützung: Der Austausch mit vertrauenswürdigen Freunden, Coaches oder Therapeuten kann eine wichtige Rolle bei der Selbstregulation spielen. Soziale Bindungen, die eine neue Erfahrung der Akzeptanz und Annahme ermöglichen, fördern das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, was entscheidend für die Heilung ist.
- Kreativer Ausdruck: Kunst, Musik oder Schreiben können hilfreiche Tools sein, um Emotionen auszudrücken und zu verarbeiten. Kreativität kann ebenfalls helfen, innere Spannungen abzubauen und das Nervensystem zu beruhigen.
- Naturverbundenheit: Zeit in der Natur zu verbringen, hat nachweislich positive Auswirkungen auf das Nervensystem. Die beruhigende Wirkung von natürlichen Umgebungen kann helfen, Stress abzubauen und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern.
Sieh diese Impulse als Menü- Angebot eines bunten Buffets. Die Veränderung nach traumatischen Erfahrungen ist ein individueller Prozess, der Zeit und Geduld erfordert. Indem wir uns der Funktionsweise unseres Nervensystems bewusstwerden und Impulse zur Selbstregulation in unseren Alltag integrieren, können wir die Grundlagen für Heilung und Veränderung legen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass jeder Schritt in Richtung Selbstregulation ein Schritt in Richtung eines gesünderen und erfüllteren Lebens ist. Wenn du das Gefühl hast, dass du Unterstützung benötigst, zögere nicht, diese einzufordern. Du hast ein Recht auf Heilung- diese Entscheidung triffst du bitte ganz für dich allein!
Ein schönes Zitat, das sich wie ein Kraftsatz anhört und zum Visualisieren einlädt, mag ich dir zum Ende ans Herz legen:
ICH ATME LIEBE EIN.
ICH ATME FREUDE AUS.
DAS LEBEN LIEBT MICH.
– Verena König